Berge in der Malerei

Das Jubiläumsbuch
„Berge in der Malerei“

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Nikolaus Schaffer
„Helene Maria Schorn – DER BERG IN DER MALEREI“

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Müssen ein Thema oder ein ganzer Gattungsbereich nur lange genug „weg vom Fenster“ sein, damit man eines Tages umso sicherer mit ihrer Wiederkehr rechnen darf? So einfach wie in der Mode, wo sich alle paar Jahre sehr ähnliche Trends und Muster wiederholen , ist es – trotz aller Versuche den Markt zu steuern – in der Kunst wohl nicht, weil zu viele und undurchschaubare Komponenten betei-ligt sind. Bekanntlich kommt alles irgendwann wieder; doch beim Thema Berg hätte man das wohl am allerwenigsten vermutet, denn so tief in der Gunst gefallen war kaum ein anderes Gebiet der Malerei.
Dieser Tiefstand der Wertschätzung war nicht von ungefähr:  In den dreißiger Jahren verflachte das Bergbild zum massengängigen Wandschmuck und spätestens in den sechziger Jahren war es so weit, dass niemand mehr Bergbilder sehen wollte. Der Gegenschlag war auch deswegen besonders rigoros, weil ideologische Verirrungen mit hineinspielten, die das Gebirge für markiges Deutschtum vereinnahmten.
Dabei haftete dem Bergbild ursprünglich etwas Ungewohntes und Exotisches an, ebenso wie die Bergsteigerei war es den Eliten vorbehalten; in Österreich hatte das Kaiserhaus stets ein besonderes Faible dafür.
Als erste versuchten es die Biedermeiermaler im größeren Stil, die Kunstliebhaber mit der landschaftlich als wenig anziehend geltenden Bergwelt vertraut zu machen. Sie haben sie daher meist von ihrer freundlichsten Seite gezeigt, während schon die nächsten Generationen den Zug zum Mächtigen und Überwältigenden betonten und die Berge in fast überirdischer Majestät erscheinen ließen. Die symbolistisch-allegorische Komponente, die selbst beim realistischen Bergbild latent vorhanden ist, gewann um die Jahrhundertwende die Oberhand. Dass sich der Berg in seiner Respekt einflößenden Gestalt als Sinnbild für höchste Werte eignet bzw. instrumentalisieren lässt, hatte man schon bald erkannt und machte die Gebirgsmalerei, verglichen mit anderen Landschaftstypen, besonders attraktiv.
Der Berg in der Malerei bedeutet eine stärkere seelisch-emotionelle Herausforderung als eine herkömmliche Wald- und Wiesenlandschaft; vor allem das Bergbild im strengen Sinn, das ausschließlich die Regionen von nacktem Fels und ewigem Schnee zeigt und ein gewissermaßen asketisches Gegenbild zur grünenden Natur darstellt, ist prädestiniert als Anlaufstelle und Träger von sehr tief in der menschlichen Psyche verankerten Vorstellungen und Sehnsüchten. Nur noch die Meeresbilder verfügen als Motiv über eine ähnlich elementare, fast unumgängliche Symbolkraft und wurden daher vorzugsweise von der Trivialkunst in Beschlag genommen.
Berge üben eine Faszination aus, die sich offensichtlich immer wieder durchsetzt und durch kein anderes Motiv ersetzt werden kann.
Nach dem Erstarken der figürlichen Malerei musste aufgrund der eingefleischten Aversion noch einige Zeit vergehen, bis auch Berge wieder auf der Leinwand erscheinen durften. Darüber hinaus hat man entdeckt, dass auch eine jenseits der klassischen Medien angesiedelte Kunstpraxis sehr viel mit diesem Thema anfangen kann. Die Moderne hat den Berg ja nicht sehr geschätzt, da er mit seiner massiven Materialität, seinem blockhaften Volumen, seinen scharfen Umrissen eine nicht auflösbare Domäne, ein Unterpfand der Gegenständlichkeit geblieben ist und sich den meisten analytischen Tendenzen widersetzte. Dass der Berg als gegenständliches Motiv relativ abstrakt ist, steht auf einem anderen Blatt.
Seit einigen Jahren hat eine Reihe von jüngeren Malern, denen dieses Motiv alles andere als steingewordenen Heroismus bedeutet, am Thema Berg wieder Feuer gefangen. Erfreulicherweise gibt es die alten Berührungsängste nicht mehr. Das Image ist wieder hochmodern. Die körperlich-sportive Komponente und der spirituelle Ansatz gehen vielfach Hand in Hand, das verstärkte Wissen um die Kostbarkeit dieser urweltlichen Ressource spielt natürlich bei der neuen Wertschätzung auch eine Rolle.
Die Kunst hat sich im 20. Jahrhundert weitgehend auf die Seite der Technik geschlagen und die noch im 19. Jahrhundert allzu verhätschelte und romantisierte Natur ins Ausgedinge geschickt. Diese Einstellung ist heute ebenso wie die kategorische Verurteilung einer am Abbild orientierten Kunst nicht mehr aufrecht zu erhalten.
Es gehörte zu den fragwürdigen Gewissheiten aufklärerischer Kunstauffassung, aus einem fortgeschrittenen Status der Abstraktheit eine höhere Wertigkeit abzuleiten. Nach einer verbindlichen Grammatik hält man freilich vergebens Ausschau, die Übersetzungsverfahren, angeblich auf konsequenten Reduktionen basierend, bleiben allemal der individuellen Kreativität anheimgestellt. Um den Schritt vom Gegenständlichen in die Abstraktion wurde jedenfalls viel verbaler Wind gemacht. Man könnte dieses Spiel genauso gut umdrehen und die Rückübersetzung zum gegenständlichen Ausgangsmotiv zum Endzweck erklären.
Die Bilder von Helene Schorn würden sich für dieses Exempel besonders gut eignen, denn sie sind nach beiden Richtungen hin bestens abgesichert. Ihre Bergbilder lassen sich genauso gut als perfekte abstrakte Kompositionen auffassen,  wie sie auch als Ansichten keinen Wunsch offen lassen.
Die Künstlerin schöpft aus einem umfassenden malerischen Erleben, das genaue Kenntnis der Bergwelt und handwerkliche Souveränität mit einschließt. Helene Schorn knüpft an die besten Bergmaler des 20 Jahrhunderts an, ohne von diesen Kenntnis zu haben, das heißt rein aus ihrem Gespür für malerische Werte heraus. Ihr großes Plus ist eine nahezu ins Bildhauerische und Mikrostrukturelle verfeinerte Spachteltechnik. Schließlich hat sie sich zuvor einfühlsamst mit Blumenmalerei beschäftigt, einem dem Berg diametral entgegengesetzten Stoff. Das hat sich als ideale Voraussetzung erwiesen. Man fragt sich: gibt es eine dermaßen sensibilisierte Spachtelarbeit noch ein zweites Mal?
Weil sie als Pinzgauerin so nahe an den Quellen sitzt und eine große Bergfreundin ist, kam Schorn erst spät darauf, dass dies eigentlich die gegebene künstlerische Aufgabe für sie sein könnte. Von da an war sie allerdings nicht mehr zu bremsen. Während sie sich in ihrer ersten Werkserie noch auf eine Farbskala von Weiß über Blau zu Schwarz beschränkte, setzt sie inzwischen ihre ganze Palette ein. Die Berge, fotogen ins Bild gesetzt, erblühen geradezu koloristisch unter ihrer Hand, ob als bemooster Fels oder reflektierender Schnee. Was man von der Wüste sagt, dass gerade eine karge Natur die schönsten Farbwirkungen hervorbringt, das gilt auch für den Berg, und da ist Helene Schorn in ihrem Element.

Dr. Nikolaus Schaffer ist Kunsthistoriker, Kustos am Salzburg Museum und Leiter der dortigen Sammlung bildende Kunst, Romantik bis Gegenwart. Zahlreiche Publikationen in der monografischen Reihe des Salzburg Museum und über Künstler der Gegenwart. Kurator der Ausstellung “Die Hohen Tauern, Kunst und Alpingeschichte”, Salzburg Museum 2012

Bilder aus dem Buch